Der Beteiligungsprozess des BMG zur Verbesserung der Versorgung erfolgte in drei Phasen: Von Oktober 2024 bis März 2025 wurden in einer Online-Befragung, Workshops und einer Abschlussveranstaltung neun zentrale Handlungsansätze (Überblick siehe unten) erarbeitet. Diese fokussieren sich auf medizinische, soziale und schulische Herausforderungen.
Die Übergabe aller neun erarbeiteten Handlungsansätze aus den Workshops erfolgte am 7. März 2025 an das Bundesministerium für Gesundheit bzw. Prof. Karl Lauterbach – mit dem Ziel, eine bessere Zukunft für Kinder und Jugendliche mit Long COVID, ME/CFS, Post-VAC und PAIS zu schaffen.
Eine Vertreterin des Fatigatio e.V. war Teil des Partizipationsprozesses. Das Mitwirken war uns ein sehr wichtiges Anliegen, da wir als Patientenorganisation täglich erleben, wie schwer es für betroffene Familien ist, angemessene medizinische Unterstützung zu finden. Viele Ärztinnen und Ärzte sind nicht ausreichend informiert, Diagnosen ziehen sich über Monate oder sogar Jahre hin, und eine koordinierte Versorgung ist nahezu nicht vorhanden. Kinder und Jugendliche, die durch Long COVID, ME/CFS oder ähnliche Erkrankungen schwer beeinträchtigt sind, bleiben oft allein mit ihrer Krankheit – ohne eine verlässliche Versorgungsstruktur, die ihnen hilft, gesund zu werden und wieder am Leben teilzunehmen.
Unsere Vertretung war daran beteiligt, den dritten Handlungsansatz mit dem Titel „PAIS-Zentren und ihre Vernetzung in der Region zur Sicherstellung einer qualifizierten Versorgung“ maßgeblich mitzuprägen.
Die Herausforderung der Aufgabenstellung war es, dass es immer noch an spezialisierten Anlaufstellen mit multiprofessioneller Versorgung mangelt, unübersichtliche Online-Informationen bestehen, die Betroffenen durch aufwendige Arztbesuche stark belastet werden und flexible, leicht zugängliche Hilfsangebote (online oder mobil) fehlen. Derzeit leisten oftmals lediglich Patientenorganisationen und Selbsthilfegruppen eine Lotsenfunktion, um Betroffenen passende Einrichtungen aufzuzeigen.
Es gelang unserer Stellvertretung, den Fokus auf PAIS-Zentren, also qualifizierte Versorgungsangebote für Patientinnen und Patienten mit postakuten Infektionssyndromen (PAIS), zu setzen, statt vorrangig Long COVID zu adressieren. Betroffene mit schweren und schwersten Verläufen von ME/CFS infolge verschiedener Auslöser sollen bei der Versorgung ebenfalls ausdrücklich berücksichtigt werden. Als Grundlage sollen die Richtlinie „LongCOV-RL“ des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sowie entsprechende Leitlinien, z.B. die S3-LL-Müdigkeit mit dem Kapitel 5.7 über ME/CFS und das DACH-Konsenspapier zur Diagnostik und Behandlung von ME/CFS dienen. Die Zentren sollen interdisziplinär arbeiten und eine koordinierte Aufnahme sowie Diagnostik und Behandlung – auch per Telemedizin und aufsuchend – ermöglichen. Das dort tätige medizinische Personal soll sich über fortlaufende, standardisierte, fachgebundene Aus- und Fortbildungen weiterentwickeln. Zudem sollen „Lotsen“ geschaffen werden, um die Vernetzung zwischen Patientinnen und Patienten, Medizin, Therapie und sozialrechtlicher Unterstützung zu verbessern. Ziel ist eine flächendeckende Versorgung mit maximal 100 km Entfernung zur nächsten Anlaufstelle. Denn noch immer fehlt es an flächendeckenden, leicht zugänglichen Angeboten. Im Workshop wurde daher ein Konzept entwickelt, das genau hier ansetzt – für eine bedarfsgerechte, wohnortnahe und verlässliche Versorgung.
Die Long COVID-Richtlinie des G-BA („LongCOV-RL“) wurde entwickelt, um die Versorgung von Menschen mit Long-COVID und Erkrankungen, die eine ähnliche Ursache oder Krankheitsausprägung aufweisen zu verbessern und bestehende Lücken zu schließen. Sie kann in mehreren Bereichen der unten beschriebenen Handlungsansätze unterstützend wirken – insbesondere in Bezug auf die Schaffung interdisziplinärer Versorgungsstrukturen. Der Fatigatio e.V. war in den Entstehungsprozess der Richtlinie maßgeblich involviert. In den Handlungsempfehlungen werden Small-Fiber-Neuropathie (SFN), das Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS) und das Posturale Tachykardiesyndrom (PoTS) bedauerlicherweise nicht genannt, obwohl diese von den Mitwirkenden adressiert und als wichtig erachtet wurden. In der Richtlinie des G-BA, die verbindliche Regelungen rechtlich legitimierten Institution vorgibt, finden all diese Zusammenhänge jedoch Berücksichtigung. Der Fatigatio e.V. wird sich daher auch weiterhin für die Einbeziehung aller ME/CFS auslösenden Erkrankungen sowie Komorbiditäten in Leit- und Richtlinien einsetzen.
Alle neun Handlungsansätze und Ziele, die in den Workshops erarbeitet wurden, im Überblick:
1. Interdisziplinäre und langfristige Versorgungsstrukturen schaffen
– Aufbau von Kompetenzzentren und ambulanten Netzwerken
– Schnelleren Zugang zu Hilfs- und Heilmitteln ermöglichen
2. Breite Aufklärungskampagnen zu Long COVID & ME/CFS
– Bessere Information für Öffentlichkeit und Behörden
– Fortbildungen für medizinisches Fachpersonal
3. Spezialisierte PAIS-Zentren und regionale Vernetzung
– Zentren für Post-Akute Infektionssyndrome (PAIS) einrichten
– Interdisziplinäre Teams mit medizinischer, sozialrechtlicher und schulischer Expertise
4. Finanzielle Unterstützung für Therapie und Pflege verbessern
– Anpassung der Pflegegrade für Long COVID-Betroffene
– Erweiterung der Budgets für Ärztinnen und Ärzte
5. Flexible Schulkonzepte für betroffene Kinder
– Hybridunterricht und individuelle Prüfungsanpassungen
– Staatlich geförderte Online-Schulangebote
6. Schulen über Post-Exertional Malaise (PEM) aufklären
– Sensibilisierung für Belastungsintoleranz
– Einführung eines Leitfadens für Lehrkräfte
7. Bessere Orientierung und niedrigschwellige Hilfeangebote
– Lokale „Lotsen“ als Anlaufstellen für Familien
– Digitale Plattformen mit gebündelten Informationen
8. Rechtliche Verbesserungen für häusliche Pflege
– Vereinfachte Beantragung von Hilfsleistungen
– Förderung telemedizinischer Angebote
9. Soziale Teilhabe und Freizeitgestaltung erleichtern
– Förderung von barrierefreien Freizeitangeboten
– Finanzierung von Avataren für digitale Teilhabe
Diese Handlungsansätze sind essenziell, um betroffenen Kindern und ihren Familien eine bessere Versorgung und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Entscheidend ist nun die Umsetzung durch Politik, Gesundheitswesen und Bildungsinstitutionen.
Betroffene und ihre Familien brauchen jetzt Lösungen! Denn niemand sollte in einem Gesundheitssystem aufwachsen, das seine Krankheit nicht versteht.
Weitere Infos auf den Seiten des BMG und der Initiative-Long COVID.
Mehr Infos zu ME/CFS bei Kindern und Jugendlichen auch hier auf unserer Seite.