Ein erkrankter Patient in einem abgedunkelten Zimmer (Symbolbild)

Was ist ME/CFS?

Die Bezeichnung MEMyalgische Enzephalomyelitis
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/CFSChronisches Fatigue Syndrom
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steht für eine schwere chronischlange andauernd, dauerhaft
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verlaufende Multisystemerkrankung. Der neuroimmunologische Krankheitsmechanismus führt zu Funktionsstörungen zahlreicher Organsysteme und verschlechtert das Leben der Betroffenen grundlegend. Die Kranken können in unterschiedlichem Grad von der Krankheit beeinträchtigt sein. Viele können das Haus nicht mehr verlassen oder sind pflegebedürftig und bettlägrig. Weit über die Hälfte der Betroffenen wird dauerhaft arbeitsunfähig/erwerbsunfähig.

ME/CFS kann plötzlich oder schleichend beginnen. Mehr als 75% der Patienten erkranken nach einem fieberhaften Infekt. Geschätzt bis zu 250.000 Menschen sind bereits bis Beginn der Corona-Pandemie in Deutschland davon betroffen. Diese Zahl hat sich inzwischen wohl mindestens verdoppelt. Frauen erkranken dreimal häufiger als Männer. Die Erkrankung kann in jedem Lebensalter auftreten, mit einem Häufigkeitsgipfel in der Jugend oder im mittleren Alter.

Aufgrund der vielfältigen Organ- und Systembeteiligung stellt sich die Symptomatik ebenso vielgestaltig dar. Da verschiedene direkte Krankheitsauslöser beobachtet wurden, z. B. verschiedene Virusinfektionen, geht die Forschung mittlerweile von einer immunologischen Fehlsteuerung nach einer Schädigung als gemeinsamem Nenner aus, statt eines einheitlichen Krankheitserregers Entsprechend schwierig sind die Diagnose und die therapeutischen Ansätze.

Die Summe der gravierenden Beschwerden und Symptome, die mit ME/CFS verbunden sind, macht diese Erkrankung zu einer der Krankheiten mit der niedrigsten Lebensqualität überhaupt.

Die Erkrankung ist unter dem Code G93.3mehr Info im ICD10Diagnose-Schlüssel-Verzeichnis
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unter neurologischen Erkrankungen zu finden.

Gemeinsam mit der an ME/CFS erkrankten Publizistin Marina Weisband hat der Fatigatio e.V. ein YouTube-Video veröffentlicht, das über die Erkrankung aufklärt. Im Video geht es darum, was ME/CFS ist, welche Symptome typisch sind, was PacingAnpassung des gesamten Lebensstils an individuelle, verminderte Belastungsgrenze
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bedeutet und was es für Betroffene bedeutet, an ME/CFS erkrankt zu sein.

Das zentrale Merkmal der Krankheit ist eine deutliche Verschlimmerung aller individuellen Symptome manchmal schon nach geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung, die sich auch nach ausreichenden Ruhephasen nicht bessert. Dafür können je nach Schweregrad einstündiges Lesen, ein Einkauf, einige wenige Schritte, einfache Bewegungen bei der Körperpflege, ein Telefonat, in schweren Fällen schon Kontakte mit Menschen, verschiedene Sinnesreize (Licht, Gerüche) oder das Umdrehen im eigenen Bett ausreichen.

Die Bezeichnung für dieses Symptom ist PEMPost-Exertional Malaise
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, Post-Exertional MalaiseUnwohlsein
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. Ebenfalls gebräuchlich ist PENEPost-Exertional Neuroimmune Exhaustion
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, Post-Exertional Neuroimmune Exhaustion. Dieser Ausdruck bezeichnet die tiefgreifende Verschlechterung nach Anstrengung besser als der englische Ausdruck „malaise“ = „Unwohlsein“.

Je nach individuellem Krankheitsbild wirkt sich das als ausgeprägte Schwäche, mit schmerzenden Muskeln (kein Muskelkater!) und Gelenken, grippeähnlichen Symptomen, Kreislaufstörungen und einer allgemeinen Verschlechterung des Zustandes aus.

Dieses Symptom kann zeitverzögert 24 bis 72 h nach der Belastung auftreten, so dass der Zusammenhang mit dem Auslöser oder Trigger nicht leicht zu ermitteln ist. Die PEM hält unterschiedlich lange an und kann Monate andauern. Bei wiederholten Überlastungen kann es zur stetigen Verschlechterung mit weiter reduzierter Belastungsgrenze kommen, an deren Ende dann die schwerste Form (Severe MEschwerst Form von Myalgischer Enzephalomyelitis
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) steht.

Die ganze Bandbreite an bestehenden Symptomen, die in der PEM verstärkt werden, betreffen:

  • das autonome Nervensystem: Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Schwindelgefühle, Benommenheit, Orthostatische ProblemeUnfähigkeit zur aufrechten Körperhaltung
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    (Unfähigkeit zu aufrechter Körperhaltung)
  • das Immunsystem: schmerzende geschwollene Lymphknoten, Halsschmerzen, Infektzeichen der Atemwege, Allergien, häufige Infekte
  • die Muskulatur: Kopf-, Muskel und Gelenkschmerzen, zuckende und krampfende Muskeln
  • den Schlaf: trotz der starken Erschöpfung treten erhebliche und vielgestaltige Schlafstörungen auf
  • neurokognitive Systeme: migräneartige Kopfschmerzen, starke Probleme bei der Konzentration und Informationsverarbeitung, Wortfindungs- und Merkstörungen, Überempfindlichkeit gegen Sinnesreize, die für manche Schwerstbetroffenen das Leben in abgedunkelten Räumen notwendig macht.

Da es keinen spezifischen Labortest gibt, kann die Diagnosestellung langwierig sein. Durch zeitlich und in Intensität wechselnde Beschwerden ist das klinische Bild inkonstantnicht feststehend, unbeständig
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 und andere Erkrankungen müssen im Rahmen einer Ausschlussdiagnostik betrachtet werden. Abzugrenzen ist die Erkrankung z. B. von einer „einfachen“ FatigueAndauerndes Gefühl der Erschöpfung
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nach einer schweren Infektion, die sich von selbst nach einiger Zeit bessert.

Zur Diagnostik gehören die gründliche Anamnese und körperliche Untersuchung und ggf. weitere invasive apparative und invasive Untersuchungen zum Ausschluss anderer Erkrankungen. Insbesondere die Angabe einer wiederholten Belastungsintoleranz sollten den Verdacht auf ME/CFS lenken.

Um eine ChronifizierungÜbergang von der vorübergehenden zur dauerhaften Präsenz einer Erkrankung oder eines Symptoms, insbesondere von Schmerzen
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 (also eine anhaltende Erkrankung, die sich nicht bessert) zu diagnostizieren, soll laut der CCCCanadian Consensus Criteria - Kanadische Konsensus-Kriterien
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(kanadische Konsensus-Kriterien)  die Krankheit drei Monate, laut CDCCenters for Desease Control and Prevention - Zentren zur Kontrolle und Vorbeugung von Krankheiten des US-amerik. Gesundheitsbehörde
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 (Centers for Desease Control and Prevention) sechs Monate andauern. In dieser Zeit sollte allerdings schon eine angepasste Therapie und Diagnostik durchgeführt werden. In der langen Beobachtungsphase können einige der Patienten mit dem Symptom Fatigue eine spontane Erholung erleben, da nicht alle Fälle mit postinfektiöser Fatigue in ME/CFS münden.

Eine ursächliche Therapie gibt es für ME/CFS bisher nicht. Es ist gegenwärtig lediglich möglich, einige Symptome der Erkrankung medikamentös oder durch nichtmedikamentöse Behandlungen zu lindern. Diese Therapien sind z. T. off-label-use, d. h. es existieren keine speziellen Zulassungen für diese Medikamente bei ME/CFS. Generell gilt, dass es einer engen Zusammenarbeit aller beteiligten Fachdisziplinen bedarf, um Prioritäten festzulegen und mögliche schädigende Einflüsse zu verhindern.

Ganz entscheidend für eine Besserung des Krankheitsbildes ist eine an die individuelle Leistungsfähigkeit angepasste Therapie. Das kann ein dosiertes Gehen von einigen Metern oder auch komplette Reizabschirmung in besonders schweren Fällen sein. In der Folge ist es notwendig, den gesamten Lebensstil an die niedrigen Belastungsgrenzen anzupassen. Dieses Vorgehen wird als Pacing bezeichnet. Es hat das Ziel, unter Beachtung der eigenen Grenzen eine größtmögliche Aktivität zu erhalten. Hierbei ist es wichtig, das persönliche Umfeld der Patienten einzubinden.

Folgende Ansätze können dabei eine Orientierung bieten:

Orthostatische Intoleranz

Bei Symptomverschlechterung durch Sitzen oder Stehen kann versucht werden, die tägliche Flüssigkeitszufuhr zu erhöhen oder Stützstrümpfe anzuwenden. Falls dieses nicht ausreicht, können die Behandelnden den Einsatz von Medikamenten erwägen.

Schlafstörungen

Gute Schlafgewohnheiten sind für Patienten mit ME/CFS besonders wichtig. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche. Falls Maßnahmen einer guten Schlafhygiene keine Besserung bringen, können die Behandler medikamentöse Maßnahmen wie Melatonin in Erwägung ziehen.

Konzentrationsprobleme, Gedächtnisstörungen

Stimulantien wie z. B. Medikamente gegen ADHSAufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung
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werden gelegentlich versucht. Dabei ist zu beachten, dass hierdurch sog. Push-and Crash-Zyklen ausgelöst werden können, also durch das vermeintliche verbesserte Wohlbefinden eine Selbstüberforderung eintritt, die dann wieder zu einer Verschlechterung führt.

Schmerzen

Häufig kommen Kopf- oder Oberbauchschmerzen vor. Nahrungsmittelallergien oder Probleme mit den Augen sollten ausgeschlossen werden.

Unkritische Anwendung rezeptfreier Schmerzmittel sollte wegen der Nebenwirkungen vermieden werden. Sanfte physikalische Therapie kann lindernd wirken. Die Schmerztherapie gehört in die Hände des Behandlungsteams und sollte interdisziplinärmehrere Einzelwissenschaften umfassend, die Zusammenarbeit mehrerer Einzelwissenschaften betreffend
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erfolgen.

Depression, Stress, Angst

Die extreme Einschränkung aller Bereiche des Lebens, sei es die wirtschaftliche Unsicherheit bei Berufsunfähigkeit, die Schwere der Symptomatik einschließlich starker Schmerzen und allein die Konfrontation mit einer unheilbaren schweren Krankheit, kann in der Folge zu Trauer, Stress, Angst und depressiven Gedanken führen. Diese Symptome werden jedoch nicht durch die Krankheit selbst verursacht, sondern sind die Folge der erheblichen Beeinträchtigung des täglichen Lebens und der unsicheren Zukunftsperspektiven. Hier kann eine begleitende psychosoziale Unterstützung durch Therapeuten hilfreich sein, sofern diese mit den biologischen Ursachen der Erkrankung vertraut sind. Die Behandlung kann das Wohlbefinden bessern, eine Heilung der Erkrankung ME/CFS ist hierdurch aber nicht möglich.

Wichtig ist die Unterscheidung von einer primären Depression, die nicht das Kernsymptom PEM aufweist, sondern sich durch Aktivität bessert. Leider werden auch heute noch in Unkenntnis dieser Unterschiede primär psychotherapeutische und aktivierende Verfahren verordnet, was durch die damit verbundene Anstrengung kontraproduktiv ist und zu einer Verschlechterung der Prognose führt. Eine Analogie kann hierzu die psychosoziale Betreuung von Krebspatienten sein, die in dieser lebensverändernden Situation ebenfalls professionelle Unterstützung in der Krankheitsbewältigung benötigen können. In der PsychoonkologiePsychologische Betreuung von Krebspatienten
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 käme jedoch niemand auf die Idee, die Tumorerkrankung durch Psychotherapie heilen zu wollen.

Medikamente wie AntidepressivaArzneimittel zur Behandlung von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen
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oder Anxiolytikaangstlösende Arzneimittel für die Behandlung von Angst- und Panikerkrankungen
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sollten zurückhaltend verordnet werden, da ihre Einnahme die Symptome bei manchen Patienten verschlechtert.

Entspannungstechniken wie Atemübungen oder sanftes Yoga können Stress mindern.

Der Name ME/CFS ist entstanden aus der Kombination zweier international gebräuchlicher Begriffe: ME für Myalgische Enzephalomyelitisentzündliche Veränderung im zentralen Nervensystem
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, CFS für Chronic Fatigue SyndromeChronisches Fatigue Syndrom
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. Sie bezeichnen das Krankheitsbild deutlich treffender als das deutsche „Chronisches Müdigkeitssyndrom“ oder „Chronisches Erschöpfungssyndrom“, Begriffe, die der Schwere des Krankheitsbildes nicht annähernd gerecht werden.

Der Begriff ME stammt aus dem Versuch, die Symptom-Konstellation aus neurologischen Symptomen und den weit verbreiteten Schmerzen zu beschreiben. Wohl eher zutreffend wäre Enzephalopathie (-pathie = krankhaft verändert), da entzündliche Veränderungen (-itis) im Zentralnervensystem nicht eindeutig nachweisbar sind.

Der Begriff CFS bezeichnet auch im wissenschaftlichen Sprachgebrauch das Chronic Fatigue Syndrome mit dem Schwerpunkt auf dem Symptom der schweren krankhaften Fatigue.

In den letzten Jahren wurden noch andere Begriffe zu etablieren versucht, vorrangig zu nennen SEIDSystemic Exertion Intolerance Disease, Systemische Belastungsintoleranz-Erkrankung
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, Systemic Exertion Intolerance Disease, sinngemäß Systemische Belastungsintoleranz-Erkrankung. Dieser Begriff wurde 2015 eingeführt vom Institute of Medicine, USA, um das KardinalsymptomKernsymptom, Leitsymptom, bedeutsamstes Merkmal einer Erkrankung
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der Belastungsintoleranz deutlich abzubilden.

  • Damit stehen mindestens drei Bezeichnungen für ein Krankheitsbild nebeneinander. Diskussionen um eine korrekte Krankheitsbezeichnung sollten keinen Grund darstellen für mangelndes Interesse an adäquater Forschung zum Krankheitsbild und sind wenig hilfreich für eine fundierte Patientenversorgung.
  • Forschung und Lehre zu diesem komplexen Krankheitsbild sind international unzureichend. Wir als Patientenorganisation sehen dringende Notwendigkeit für die Unterstützung wissenschaftlicher Arbeit und die Anerkennung der Versorgungsprobleme der Patienten auf politischer Ebene und engagieren uns durch Mitarbeit in den entsprechenden Gremien.
  • Unser Ziel ist die Etablierung und Sicherstellung einer interdisziplinären, multiprofessionellen Versorgung der Patienten. Bis dieses Ziel erreicht ist, sind wir der Ansprechpartner für Patienten, Angehörige und medizinisches Fachpersonal bei der Bewältigung dieser schwierigen Krankheitssituation. Dies beinhaltet z.B. die Bereitstellung krankheitsrelevanter Informationen, die Unterstützung bei sozialen Fragen oder die Vernetzung der Patienten.
  • Der Kenntnisstand sowohl in der Forschung wie unter Ärzten ist jedoch weltweit unzureichend. Gut ausgebildete Ärzte, Therapeuten, Selbsthilfegruppen und -vereine können wertvolle Hilfe leisten.