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Die humanitäre Katastrophe vor unserer Haustür: Anhörung im Landtag Baden-Württemberg weckt Hoffnung für ME/CFS- und Post-COVID-Kranke

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Gemeinsame Pressemitteilung der ME/CFS-Patientenorganisationen zur Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss im Landtag Baden-Württemberg.


Stuttgart, 20.06.2022. Am Montagmorgen fand im Landtag von Baden-Württemberg eine Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss statt, die bei ME/CFS und Post-COVID-Betroffenen Hoffnung auf eine baldige Besserung ihrer prekären Versorgungslage weckt. ME/CFS ist eine chronische Multisystemerkrankung, die auch nach Coronainfektionen auftritt und zu einem hohen Grad körperlicher Beeinträchtigung führt. Ziel der Anhörung war es, bestehende Hürden und nötige Handlungsbedarfe zu eruieren, um die Versorgungssituation der Erkrankten zu verbessern. Dazu waren als Expert:innen u.a. Prof. Scheibenbogen (Charité Berlin) und Prof. Behrends (TU München) sowie Vertreter:innen deutscher Patientenorganisationen und regionaler Selbsthilfegruppen geladen. In Folge der Coronapandemie ist mit einem drastischen Anstiegt der ME/CFS-Fallzahlen bei Erwachsenen sowie Kindern und Jugendlichen zu rechnen.

„ME/CFS ist eine Krankheit, die vielen jungen Menschen zwar nicht ihr Leben, aber ihre Zukunft raubt“, beschreibt Gerhard Heiner von der „Initiative ME/CFS Freiburg“ die Schwere der Einschränkungen, die mit der Erkrankung einhergehen. Rund 60% der Betroffenen sind arbeitsunfähig, 25% können das Haus oder Bett nicht mehr verlassen und sind pflegebedürftig. Schwersterkrankte liegen in abgedunkelten Räumen, von allen Reizen abgeschirmt, unfähig zu kommunizieren, und müssen künstlich ernährt werden.

Doch obwohl ME/CFS bereits seit 1969 von der WHO als neurologische Erkrankung klassifiziert ist, gibt es bislang keine heilenden Therapien. Das Krankheitsbild ist in der Öffentlichkeit und Medizin weitestgehend unbekannt und wird in der Folge meist zu spät oder gar nicht diagnostiziert. Betroffenenverbände wie der Fatigatio e. V. – Bundesverband ME/CFS und die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS fordern daher von Politik und Medizin drei zentrale Maßnahmen: Den Aufbau von Versorgungsangeboten in Unikliniken und Praxen, Investitionen in die Grundlagen-, Therapie und Diagnostikforschung sowie medizinische Fortbildungen und Aufklärung.

Die Anhörung im Landtag Baden-Württemberg deckte ein breites Spektrum aus Fachvorträgen ausgewiesener medizinischer Expert:innen, breites Erfahrungswissen der Patientenorganisationen und persönliche Berichte aus der regionalen Selbsthilfe ab. Besonders berührte die emotionale Rede von Susanne Ritter, Selbsthilfegruppe Alb-Donau-Kreis/Schwäbische Alb, die als Mutter einer schwer erkrankten Jugendlichen eindrücklich die schwierige Situation von jungen Betroffenen und ihren Eltern schildern konnte.

Für den Fatigatio e. V. vertrat Birgit Gustke, Sprecherin und ehemalige Vorsitzende, die Interessen der Erkrankten. Sie betonte die medizinische Relevanz der Belastungsintoleranz (Post-Exertionelle Malaise, kurz: PEM), die als Hauptsymptom von ME/CFS und Post-COVID-ME/CFS zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands nach körperlicher oder kognitiver Belastung führt: „Nur wenn das Kardinalsymptom PEM festgestellt wird, bevor in Rehamaßnahmen überwiesen wird, kann eine massive Schädigung und Chronifizierung vermieden werden.“

Nachdem die prekäre ME/CFS-Versorgungslage im vergangenen Jahr bereits in mehreren deutschen Landtagen behandelt wurde (darunter NRW, Niedersachsen und Thüringen), hat sich nun auch Baden-Württemberg dieser drängenden Thematik zugewandt. MdB Petra Krebs (Grüne) bedankte sich abschließend bei den Referent:innen: „Mich hat es sehr betroffen gemacht […] und ich muss offen gestehen, dass mir die Dimensionen in allen Lebensbereichen bis heute nicht klar waren.“ Sie sehe nun die Politik und den Gesundheitsausschuss in der Pflicht, Aufklärungskampagnen und Versorgungskonzepte zu erarbeiten. Dies weckt Hoffnung, dass die Anhörung ein erster Schritt gewesen sein könnte, auf den zeitnah konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der prekären ME/CFS-Versorgungslage auf Landes- und Bundesebene folgen.

Die Beteiligten im Überblick:

  • Prof. Carmen Scheibenbogen, Charité Berlin
  • Prof. Uta Behrends, TU München
  • Prof. Jürgen Michael Steinacker, Uniklinikum Ulm
  • Susanne Ritter, ME/CFS-Selbsthilfegruppe Alb-Donau-Kreis/Schwäbische Alb
  • Gerhard Heiner, Initiative ME/CFS Freiburg
  • Birgit Gustke, Fatigatio e.V. – Bundesverband ME/CFS
  • Torben Elbers, Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e. V.

 

Die gemeinsame Pressemitteilung der Patientenorganisationen finden Sie hier
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